In den Straßen von Havanna
- doeringphoto
- 5. Sept.
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Okt.
Eine Leica M4-II, 40 Rollen Kodak Filme, 1200 km von Havanna nach Holguin - ich fahre durch Kuba und fotografiere Straßenszenen, nur analog.

Havanna ist so gar nicht vergleichbar mit europäischen Hauptstädten. Es gibt kaum Außenwerbung und wenige Geschäfte. In einigen Stadtteilen sieht es aus, als ob die Zeit in den 1970er Jahren (oder noch früher) stehen geblieben wäre. Die Altstadt dagegen (Habana Vieja) ist überwiegend restauriert, eine Pracht und Unesco Weltkulturerbe. Die Karibik-Metropole ist einfach unglaublich interessant.

Und so laufe ich jeden Morgen durch die Straßen. Einfach so, ohne Ziel, ein bis zwei Stunden lang und täglich in eine andere Richtung. Das Licht ist um 7 Uhr wunderbar weich und die Hitze (noch) erträglich. Ich sehe eine alte Frau Kaffee ausschenken an ihre Nachbarn, Obsthändler schwere Karren ziehen, dösende Bicitaxi-Fahrer und eine hübsche Joggerin am Prachtboulevard Paseo de Marti laufen. Vor einer Backstube hat sich schon früh eine Warteschlange gebildet. Dutzende Menschen warten auf Brot.

Dann laufe ich zu meiner Casa zurück und frühstücke erst gegen 9 Uhr. Es gibt Kaffee oder Tee (Schwarztee habe ich von zu Hause mitgebracht), Avocado, Banane, Papaya, Rührei, Weißbrot, Marmelade. Die historische Altstadt, das ursprüngliche Centro und das Meer am Malecon sind von meiner Unterkunft in zehn bis zwanzig Minuten fußläufig erreichbar.

Ein bis zwei Stunden mache ich Frühstückspause, dann laufe ich wieder durch die Straßen bis die Sonne gegen 18 Uhr untergeht. Auch im kubanischen "Winter" (November bis März) wird es sehr heiß. Die Temperaturen sinken am Tag kaum unter 30 Grad, die Nächte sind tropisch warm mit 20 Grad und mehr. Da machen die vielen Klimaananlagen schon Sinn. Wenn nur die (beinahe) täglichen Stromausfälle nicht wären.

Natural

Dieses spanische Wort für "natürlich" oder "echt" ist ein Türöffner beim Fotografieren. Und das kommt so: Als ich Stelzenläufer in der Altstadt entdecke, die erschöpft im AbmeldenSchatten einer Hausmauer sitzen und Pause machen, schmeißen sich die Artisten gleich in Pose.
Doch ich möchte lieber
die Pause im Sitzen aufnehmen, ihre Unterhaltung und Erschöpfung.

Ein älterer Trompeter, vermutlich Chef der Artistentruppe, spricht etwas Englisch und übersetzt. Dabei fällt das magische Wort natural - und es hilft mir in den nächsten Tagen. Wenn die Apothekerin etwas schüchtern lächelt, der Mechaniker unter der Haube seines Oldtimers hervorkrabbelt und der Bananenvekäufer sein Verkaufsgespräch einstellt und mich angrinst, sage ich mein "Zauberwort": natural.

Stadtführung oder allein erkunden?
Beides. In Havanna gönne ich mir am ersten Tag eine Solo-Stadtführung mit Abel, der Germanistik studiert hat. Vormittags geht es zu Fuß durch die Altstadt. Ein Muss sind die vier ältesten Plazas: Plaza de la Catedral, de Armas, de San Francisco und Vieja. Dann ein Mittagessen in einem kleinen Restaurant und nachmittags eine Oldtimer-Tour durch die Metropole. So bekomme ich einen guten Überblick. Übrigens: Mit Karten von mapsme finde ich mich überall zurecht auf der Insel. Oflline runtergeladen funktionieren die Karten auch ohne Internetverbindung! auf dem Handy und in dunklen Straßen bei Stromausfällen auch. Zwei Mal helfe ich damit meinen Fahrern den Weg zu finden.

Revolution überall: Ein Überblick.
Kuba ist stolz auf seine Geschichte. Flaggen und Symbole der Revolution von 1959 begegnen mir (fast) überall. Es gibt kaum Werbeflächen, größere Geschäfte sind abseits der touristischen Hotspots und Großstädte eher rar. Eine Folge des langen Handelsembargos der USA (seit 1960).

Individuelles Reisen ist zum Teil abenteuerlich. Strom fällt oft aus, Benzin ist Mangelware, ich sehe viel Armut und erlebe einen Hurrikan. Ein Land der Kontraste.
Fotoausrüstung analog: besser ganz leicht.
Ich bin zu Fuß unterwegs, viele Stunden lang am Stück. Eine leichte Ausrüstung ist da essientiell. Fahrrad und Bicitaxi habe ich ebenfalls ausprobiert. Doch nur zu Fuß, macht die Streetfotografie für mich Sinn, komme ich den Menschen näher, erspüre die Situation.

Rad und Bicitaxi sind mir (schon) zu schnell. Anhalten und absteigen dauert nicht nur länger, es ist viel auffälliger. Als Fußgänger nähere ich mich den Straßenmotiven eher beiläufig. Die kleine Kamera auf der Seite fällt kaum auf. Und weil es im kubanischen "Winter" (November bis März) locker 30 Grad heiß wird, kommt es auf jedes (Kilo)Gramm an, das ich mitschleppe. Denn Wasserflasche! und Snacks (Bananen) sollen ja auch mit.
Kamera:
Leica M4-II. Mechanisch, kein Belichtungsmesser, keine Batterien. Mit 600 Gramm (Vollmessing) kein Leichtgewicht.
Objektive:
35 mm Summicron-M f/2.0
21 mm Elmarit-M f/2.8 ASPH
50 mm Summicron-M f/2.0
Filme
Kodak Portra 160/400 ASA und Gold.
Belichtungsmesser
Minolta Autometer IV, hilft bei schwierigen Lichtverhältnissen.
Rucksack:
Osprey Daylite13 l, Tagesrucksack (nur 500 Gramm), gute Rückenbelüftung für Tropen.
Kommunikation: Spanisch hilft.
Mit Englisch komme ich nicht weit. Das hilft nur in den touristischen Hotspots. Spanisch kann ich nicht, lerne aber ein paar Brocken. Die Technik hilft und steckt bereits im Smartphone. In meinem Fall die Übersetzen-App beim iPhone. Ich lade mir Spanisch offline runter. Die Leute sprechen ins Micro und die App übersetzt. Funktioniert manchmal holperig und ich muss mir öter einen Reim auf das Gesprochene machen. Einzelne Wörter und kurze gesprochene oder geschriebene Sätze klappen aber sehr gut.

Begenungen: so einfach.
Kubaner reden gerne, viel und laut. Wer Englisch spricht, hat in der Regel mit Touristen zu tun oder ist besonders ausgebildet. So wie ein Chirurg, der neben meiner Casa in einer winzigen Wohnung lebt.

Und ja es gibt auch Abzocker, sie heißen Jineteros. Männer oder Frauen, die fantasievoll die Touristen übers Ohr hauen (wollen) und schräge bis lustige Geschichten auftischen. Meistens sind sie sehr freundlich und rund um die touristischen Hotspots unterwegs. Je mehr ich mich abseits der (touristischen) Trampelpfade bewege, desto seltener werde ich angesprochen, ob ich etwas benötige (Rum, Zigarren, Zimmer, Essen, Frauen....). Ein freundliches (oder bestimmtes), "Nein, ich brauche nichts" (no necesito nada) hilft weiter, und ich werde in Ruhe gelassen.
Allein ist nicht langweilig
Ein Vorteil des Alleinreisen ist, dass man ganz leicht ins Gespräch kommt. An einem Nachmittag winkt mich ein älterer Mann in ein unscheinbares Haus hinein.

Ich verstehe kein Wort, drinnen gibt es eine Bühne mit einem Flügel drauf, Dutzende Stühle, Fotoporträts an der Wand - es muss eine Musikakedemie sein.
Oft unterhalte ich mich mit Oldtimer-Besitzern. Manche ihrer alten Auto-Schätzchen haben einen Austauschmotor einer koreanischen Automarke (Hyundai) bekommen. Wegen der Ersatzteilversorgung. Die trockene Hitze konserviert die Oldtimer ganz gut, die salzige Meeresluft in der Nähe der Uferpromenade Malecon schadet Lack und Gummiteilen aber, erfahre ich.

Reisetipps: Von Casas und Bargeld
Ziele: Havanna ist faszinierend, das Tabaktal von Vinales auch und Trinidad (Unesco Weltkulturerbe) sowieso. Viele Strände sind eine Wucht. Man kann auch beides kombinieren. Ich erfülle mir meinen Traum von analoger Streetfotografie auf Kuba und besuche viele Städte wie Havanna, Camaquey oder Bayamo.
Dauer: Zwei Wochen sind (zu) kurz, leider. Besser drei oder gleich vier, wenn es geht. Man ist viel entspannter, wenn etwas nicht klappt. Und auf Kuba klappt öfter was nicht. Ich nehme lieber einfache Unterkünfte und bleibe dafür länger.

Raus aufs Land: Auf dem Fahrrad werde ich auf spanisch angesprochen und nicht gleich als Tourist erkannt. Roller mieten, Bicitaxi oder Auto (mit Fahrer ist nicht viel teurer) geht auch gut.

Auf dem Dorf tickt das Leben anders: Ochsen ziehen noch Karren, Bauern besuchen auf Pferden die Nachbarn, junge Männer trainieren ihre Kampfhähne und die Früchte schmecken noch viel köstlicher.
Bargeld: Euros (auch Dollar) mitnehmen und gegen CUP (Cuban Pesos) tauschen. Nicht auf der Straße, besser in der eigenen Unterkunft. Ich setze meine Kreditkarte kein einziges Mal ein, zahle Einkäufe und im Restaurant in Pesos.

Casas: Die Casas Particulares sind eine gute Alternative zu staatlichen Hotels. Authentisch und liebevoll restauriert gibt es sie in allen Preiskategorien, oft mit Frühstück, manchmal mit Abendessen. Familienanschluss inbegriffen. In Trinidad muss ich durch die Familienküche, um zu meinem Zimmer zu kommen.

Wirtschaftskrise: Während meines Aufenthaltes fällt der Strom (beinahe) täglich aus. In Havanna einige Stunden am Tag, in Vinales drei Tage am Stück. Ich gewöhne mich dran. Teelichter und Powerbank helfen mir weiter, und eine gute Taschenlampe. Und in Vinales schmeißt Casa Chef Oskar seinen Benzin-Generator jeden Abend für einige Stunden an.

Gegensätze: Abseits der touristischen Sehenswürdigkeiten sehe ich viel Armut, Häuserfassaden verfallen, auf den Straßen häufen sich Müllberge (Benzinmangel bei Müllabfuhr), das Warenangebot ist stark begrenzt, umgebaute Transportlaster dienen als Linienbusse.

Herausforderungen: heiß, heißer, Kuba.
Hitze: Die Hitze ist enorm. Auch in der Trockenzeit (November bis April) sind es tagsüber gut 30 Grad und mehr. In der Nacht kühlt es in den Städten nicht wesentlich ab.
Sprache: Auch Casa-Besitzer, Taxifahrer oder Studenten sprechen kaum oder gar nicht Englisch. Ich helfe mir mit meiner Übersetzung-App weiter.

Lärm: Der allgemeine Geräuschpegel ist viel höher. Kubaner sprechen laut und viel. Mopeds knattern, Autos dröhnen: Das ist für manche europäische Ohren in der Tat gewöhnungsbedürftig.
Strom: Fiel auf meiner Reise (fast) täglich aus. Powerbank, Teelichter, Taschenlampe und Ersatzbatterien bringe ich mit. Einige Casas oder Restaurants und viele Hotels haben aber Stromgeneratoren.
Mosquitos: Gibt es auch in der Stadt jede Menge. Mein Schlafanzug hat lange Ärmel und Hosenbeine, die helfen und der Klassiker Autan auch.
Essen: Durch die Wirtschaftskrise ist die Versorgung abseits von Havanna eingeschränkt. Es gibt in der Regel nur Weißbrot. Dafür ist die Früchtepalette grandios. Tee besser selbst mitbringen.

Einkaufen: Wenige Supermärkte, viele kleine Kioske mit ähnlichem (weil haltbaren) Angebot. Aufpassen bei Stromausfällen in den Restaurants, da Kühlkette unterbrochen. Ich esse lieber in den Casas zu Abend.
Transport: Schweine, Pferde oder Kühe auf den Straßen. Ich bin mit Taxis oder Privatfahrern unterwegs, die kennen sich besser aus.
Und zum Schluss - Tranquilo
Ja, Havanna und Kuba können sehr anstrengend sein. Man kann auch zwei Wochen am Strand und in einem Hotel abhängen. Dann bekommt man von alldem (siehe oben) kaum ewas mit. Aber dafür muss ich nicht zehn Stunden in ein sozialistisches Land fliegen.

Ich will was von der Kultur und Geschichte sehen, Menschen kennenlernen, die historischen Städte fußläufig erkunden. Erholsam (siehe Herausforderungen) ist das nicht unbedingt, aber wunderschön und vor allem super interessant.

Ich habe mir Zeit genommen, eine Woche für Havanna und für die kleineren Städte auch jeweils einige Tage. Stromausfälle, einen Hurrikan und die tägliche Versorgungskrise habe ich hautnah miterlebt. Manchmal gab es halt keine Butter oder keine Eier zum Frühstück; who cares. Die meisten Kubabesucher sind auf der sogenannten "Coca-Cola-Route" (Havanna, Vinales, Trinidad und ein Strand zum Abschluss) unterwegs und das alles in ein bis zwei Wochen. Ziemlicher Stress. Dabei ist Havanna für sich allein eine Reise wert. Tranquilo war mein wichtigstes spanisches Wort auf Kuba: "Immer mit der Ruhe" ... .

